Sonntag, 5. Juli 2009

Down With the Sickness

Das Virus ist der beste Freund des Kindes. Erinnert sich noch jemand daran wie es war als Kind krank zu werden? Wenn man mit 10 Jahren fiebrig hustend aufwacht, ist das wie Weihnachten und Nintendo Wii-Verkaufseröffnung an einem Tag. Als erkälteter Halbwüchsiger durfte ich Tage, wenn nicht Wochen zuhause im Bett bleiben. Ich musste nicht zur Schule und konnte stattdessen das sagenumwobene Vormittagsprogramm von RTL und ProSieben genießen (aus heutiger Sicht eher ein Grund freiwillig Hausaufgaben nachzuarbeiten). Wenn mir meine Kinderärztin nach 2 Wochen vermitteln wollte, ich sei kerngesund und müsse ab morgen wieder zur Schule gehen, brach für mich eine Welt zusammen. Mein gespielter Schleimhusten blieb meist vergebens.

Für den Mann von heute gibt es nichts Ungelegeneres als eine Grippe. Egal was er mit seinem Leben vorhat, es scheint unmöglich zu warten bis sich der Körper von der potentiell lebensgefährlichen Infektion erholt hat. Besser das schrittweise Versagen der eigenen Organe einfach ignorieren bis „die Sache ausgeschwitzt ist“, als sich oder anderen Schwäche einzugestehen. Ärzte—ohnehin eine chronisch hysterische Berufsgruppe—müssen um jeden Preis gemieden werden. Der souverän-männliche Umgang mit jeder Art von Erkrankung unterscheidet sich kaum von einer gut gespielten Runde Poker: keine Miene verziehen und mitgehen.

Die ganze Nacht erbrochen und kaum in der Lage die Beine zu heben? Hoffentlich merken die Arbeitskollegen nichts. Schwere Entzündung der Bronchien? Kein Grund die eigene Mannschaft im Achtelfinale der Dorfliga im Stich zu lassen. Diese Logik weitet sich auch zunehmend auf die ehemals besonnenere Hälfte der Bevölkerung aus. Einst die pflegende Hand in meinem Leben, kann selbst meine Mutter nicht mehr warten bis ihre Gelenkentzündung abgeheilt ist, bevor sie den 12-Liter-Kasten stilles Wasser in den vierten Stock hochzerrt. Bekanntlich liegt der Calciumanteil im Leitungswasser 20% über der vom Mineralwasserverband empfohlenen Dosis.

Selbst Menschen die im Grunde nichts mit ihrem Tag anzufangen wissen, lassen sich von einer lächerlichen Grippe nicht einschüchtern. Der arbeitslose Pilsliebhaber vor dem LIDL-Markt nimmt seine alkoholistische Verpflichtung nicht weniger ernst als der Notaufnahmeleiter von dem er am Abend zuvor noch reanimiert wurde. Besonders hart trifft es den Kranken am Wochenende, wenn er sich vorgenommen hat „endlich mal wieder Spaß mit den Kumpels zu haben“. Sind jemandem am Samstagabend schon mal die leichenblassen Gesichter mancher Gäste in einem Striplokal aufgefallen? Nun, das sind Männer die sich die ganze Zeit denken „ich habe kein Gefühl mehr in meinen Gliedmaßen, aber meinen freien Tag lasse ich mir davon nicht vermiesen!“

1 haben auch was zu sagen:

h.p. hat gesagt…

Ich würde auch lieber krank zu einem Festival fahren, als meine Karte verfallen zu lassen. Das ist die gute Ossi-Mentalität!

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