Dienstag, 25. August 2009

Der Appell zu appellieren

Der umsichtigste Kommentar im Wahlkampf diese Woche kommt nicht von Horst Schlämmer, sondern Frau Angela Merkel. Es geht um Fairness in der Arbeitswelt:

"Ich rate jeder Frau, die für die gleiche Arbeit weniger als ihr Kollege verdient, selbstbewusst zum Chef zu gehen und zu sagen: Da muss sich was ändern!"
(mehr im Tagesspiegel)

Schachmatt, Herr Steinmeier! Nach 30 Jahren bemüht-emanzipativer Familienpolitik, nach Frauenquote und Mutterschutz, nach Anti-Diskriminierungsgesetzen und einer endlosen Parade teuer im Sand versenkter Regulierungsmaßnahmen, fährt die Bundesregierung neuerdings ihr schwerstes Geschütz auf: den freundlichen Appell. Wieso sind wir nicht schon früher darauf gekommen?

Der freundliche Appell blickt in der Politik auf eine ruhmreiche Tradition zurück. Schon Ronald Reagan stellte sich Ende der 1980er vor die Berliner Mauer und bat mit freundlicher, aber bestimmter Stimme das sowjetischen Evil Empire die Mauer doch bitte (zeitnah) niederzureißen. So geschah es. Gerhard Schröder, besser bekannt als der Kanzler der Herzen, rüttelte 1998 mit den Worten "lasst mich hier rein" flehend am Tor des Kanzleramtes. Helmut Kohl erbarmte sich.

Doch in unserer überkomplexen, global vernetzen Welt genügen engagierte Appelle der Großen und Mächtigen nicht mehr. Jetzt liegt die Verantwortung bei uns. Die Appelle müssen aus der Zivilgesellschaft, der menschlichen Lebenswelt kommen. Unsere Kanzlerin tut Recht damit, von den Frauen unserer stolzen Nation das zu fordern, was sie selbst bereit ist tapfer zu leben: die Kultur des umsichtigen (aber selbstbewussten) Nachfragens. Gleiches Recht und gleiche Pflicht für alle. Schließlich kann der Staat unmöglich in die Chefetagen deutscher Unternehmen marschieren und selbst lächelnd den Zeigefinger schwingen.

Deutschlands Frauen wissen nun, die Kanzlerin ist eine von ihnen. Aber was ist mit dem Rest der Bundesrepublik? Die neue Politik macht Schule: Hochqualifiziert und trotzdem arbeitslos? Einfach in die nächste Aufsichtsratsitzung der Deutschen Bank marschieren und mit der Faust (sanft) auf den Tischen hauen. Von Neonazis die Zähne aus dem Gesicht geprügelt bekommen? Da muss man als Bundesbürger mit Migrationshintergrund selbstbewusst hingehen und sagen "also Jungs, das geht doch nicht". Das ist Politik "von Unten" für das 21. Jahrhundert. Die Bundesregierung macht sich selbst überflüssig. Frau Merkel, wären sie bitte so freundlich das Licht auszumachen?

2 haben auch 'ne meinung:

Unknown hat gesagt…

Du hast vergessen:
...als Politiker böse von einem Soziologen-Blogger veräppelt worden - geh hin und flehe ihn an, künftig nicht mehr von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen.

Christian hat gesagt…

Ganz dumm ist der Tipp nicht, schließlich ist in der freien Wirtschaft Gehalt auch immer eine Frage des Forderns. Allerdings wird der Chef vielleicht auch darauf verweisen, dass der Kollege mehr Überstunden macht, dass er keine Erziehungszeit genommen hat sondern durchgängig Arbeitspraxis in dieser Zeit gesammelt hat. Weswegen die meisten Frauen die Frage lieber sein lassen werden.

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